Synchron vs. Asynchron: Die verschiedenen Kommunikationsformen in der Online Psychotherapie – Online Therapie entschlüsselt Teil 2
Ein Beitrag von M. Sc. Psych. Jana Schneider
Synchron vs. Asynchron: die verschiedenen Kommunikationsformen in der Online Psychotherapie bilden die Eckpfeiler der modernen Psychotherapie. Das Internet wird zunehmend als Kommunikationsmittel herangezogen, um Patient:innen die bestmögliche Therapie zu ermöglichen. Seit 2019 ist es Psychotherapeut:innen erlaubt, Einzeltherapien per Video als Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) abzurechnen. Diese Entwicklung spiegelt den wachsenden Trend wider, dass immer mehr Therapeut:innen die Vorteile des Internets nutzen, um ihre Arbeit zu optimieren. Grundsätzlich kann die Nutzung des Internets als therapeutisches Kommunikationsmittel in synchrone und asynchrone Kommunikation eingeteilt werden. In diesem Artikel aus unserer Blog-Reihe Online Therapie entschlüsselt schauen wir uns die beiden wesentlichen Unterkategorien der Online Therapiean: die synchrone und asynchrone Kommunikationsformen.
Synchrone Kommunikation per Internet – Die Videosprechstunde
Eine synchrone Kommunikation stellt die Videosprechstunde dar. Sie hat sich zu einer wertvollen Methode in der Psychotherapie entwickelt. Die Videosprechstunde ermöglicht es Therapeut:innen, mit ihren Patient:innen in Echtzeit zu interagieren, unabhängig von ihrem Standort. Dabei bietet sie viele Parallelen zur Psychotherapie in Präsenz und ermöglicht die Erfassung von nonverbalen Signalen und Mimik. So bleibt die ganzheitliche Kommunikation erhalten, und Therapeut:innen können weiterhin Körpersprache und Ausdruck wahrnehmen, um gezielte Interventionen durchzuführen. Alles wie gewohnt – nur eben übers Internet. Die Videosprechstunde eignet sich sowohl für Einzeltherapie als auch für Gruppentherapie und eröffnet besonders Patient:innen mit eingeschränkter Mobilität, räumlicher Distanz oder sozialen Ängsten neue Möglichkeiten. Sie erweitert den therapeutischen Raum und ermöglicht den Zugang zur Therapie unabhängig von geografischen oder logistischen Barrieren.
Einzelpsychotherapie per Video
Die Videosprechstunde ermöglicht Psychotherapeut:innen den Aufbau und die Aufrechterhaltung einer vertrauensvollen Beziehung zu ihren Patient:innen. Durch visuelle und auditive Verbindungen können therapeutische Allianzen geschaffen werden, die ähnlich wie in der Präsenztherapie Vertrauen und Sicherheit vermitteln. Die Videosprechstunde ist besonders effektiv bei der Behandlung affektiver Störungen und dem Einsatz verhaltenstherapeutischer Interventionen.
Bei der Abrechnung der Videosprechstunde mit der GKV gibt es jedoch einige Punkte zu beachten
- Ein erster persönlicher Kontakt ist zwingend notwendig in Form der Psychotherapeutischen Sprechstunde und Probatorik
- Max. 30% aller Leistungen im Quartal können über die Videosprechstunde abgerechnet werden
- Die Videosprechstunde ist nicht möglich für: Psychotherapeutische Sprechstunde (GOP 35151), Probatorik (GOP 35150), neuropsychologische Therapie (GOP 30932), Hypnose (GOP 35120)
- Sie haben Anspruch auf einen Technikzuschlag, womit Sie sich den zertifizierten Videodienstanbieter vollständig refinanzieren können
Finden Sie alle Informationen zur Abrechnung in unserem Blogbeitrag Abrechnung von Videosprechstunden.
Gruppentherapie per Video: Eine neue Möglichkeit für Therapeut:innen und Patient:innen
Seit Oktober 2021 dürfen Psychotherapeut:innen auch Gruppentherapien per Video anbieten. Auch hier ist die Nutzung eines zertifizierten Videodienstanbieters unerlässlich, um die sensiblen Daten Ihrer Patient:innen zu schützen. Die zusätzlich vergütete Gruppenpsychotherapeutische Grundversorgung (GOP 35173 – 35179) ist nun ebenfalls per Video möglich und kann im Krankheitsfall bis zu viermal in Anspruch genommen werden. Sie ist übrigens nicht Berichtspflichtig.
Auch für die Gruppenpsychotherapie per Video gibt es ein paar Punkte zu beachten:
- Die Anzahl der Personen im Videocall ist begrenzt auf 9 (bis zu 8 Teilnehmende und 1 Psychotherapeut:in, Co-Therapeut:innen sind nicht gestattet)
- Durchgeführt werden müssen die Videogruppen von Psychotherapeut:innen, die auch persönlich Kontakt zu den Patient:innen haben
- Es sollte eine klare Absprache mit den Patient:innen erfolgen, wie bei technischen oder emotionalen Herausforderungen auf Distanz verfahren werden soll
- Übrigens: auch hier können Sie den Technikzuschlag berechnen. Jedoch nicht wie im Einzelsetting pro Patient:in, sondern pro Gruppensitzung (suchen Sie sich stellvertretend für die Gruppe eine Person aus, über die der Technikzuschlag berechnet wird)
Indikationen und Kontraindikationen für die Videosprechstunde: Wann ist sie sinnvoll?
Ob die Psychotherapie per Video sinnvoll ist und dem:der Patient:in helfen wird, hängt von vielen Aspekten ab, genauso wie auch in der Psychotherapie in Präsenz. Das Format der Videosprechstunde ist nur einer von vielen Faktoren, die hier mit rein spielen. Grundsätzlich gewährt uns die Forschung aber Einblicke in die sehr gute Wirksamkeit von Videosprechstunden vor allem wenn es um die Behandlung von affektiven Störungen mit Hilfe verhaltenstherapeutischer Interventionen geht. Patient:innen mit Trauma-, Autismus-Spektrums-Störungen, Depression, Angst- und Zwangsstörungen, Aggressionsproblemen oder Hyperaktivität kann auf dem digitalen Weg laut Forschungsergebnissen mindestens genauso gut geholfen werden, wie in Präsenz.
Obwohl die Videosprechstunde viele Vorteile bietet, gibt es bestimmte Situationen, in denen sie möglicherweise nicht geeignet ist. Bei Patient:innen mit schweren psychischen Störungen, akuten Krisen oder Suizidalität kann eine persönliche Präsenz notwendig sein. Die Entscheidung zur Nutzung der Videosprechstunde sollte in solchen Fällen sorgfältig abgewogen werden, um die Sicherheit und das Wohlbefinden der Patient:innen zu gewährleisten. Diese Entscheidung liegt immer bei Ihnen als versierte Fachperson. Jedoch auch hier: es ist nicht anders als in Präsenz. Diagnosestellung, Indikation und Behandlungsplan muss auch in Präsenz von Ihnen als Expert:in auf dem Feld eingeschätzt werden.
Die Vorteile der synchronen Kommunikation per Internet
Die synchrone Kommunikation per Internet bietet Psychotherapeut:innen viele Vorteile. Sie ermöglicht Flexibilität in Bezug auf den Ort der Therapie. Dies spart Zeit und Reisekosten für beide Seiten. Darüber hinaus eröffnet die Videosprechstunde neue Möglichkeiten für die psychotherapeutische Arbeit, da sie den Einsatz visueller und auditiver Hilfsmittel erleichtert. Von Visualisierungen bis hin zu kreativen Ausdrucksformen stehen Ihnen vielfältige Instrumente zur Verfügung. Zusätzlich ermöglicht die Videosprechstunde eine schnelle Intervention in Krisensituationen und individuelle Lebensentscheidungen, ohne dass die Therapie unterbrochen werden muss. Umzug, Sabbaticals oder einfach eine spontane Reise ans andere Ende der Welt ist nun kein Grund mehr, die Psychotherapie ab- oder zu unterbrechen.
Asynchrone Kommunikation per Internet – Psychologische Beratung und Unterstützung
Neben der synchronen Kommunikation bietet das Internet auch Möglichkeiten der asynchronen Kommunikation in der Psychotherapie. Die chatbasierte psychologische Beratung hat die psychologische Beratung per E-Mail weitestgehend abgelöst und bietet eine niedrigschwellige Möglichkeit, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Patient:innen können ihre Gedanken und Gefühle schriftlich teilen, was Raum für Selbstreflexion schafft und ihnen hilft, ihre Gedanken klarer zu formulieren. Therapeut:innen können in ihrer eigenen Zeit auf die Nachrichten reagieren und individuell auf die Bedürfnisse der Patient:innen eingehen. Chatbasierte Beratung ermöglicht eine kontinuierliche Unterstützung über längere Zeiträume hinweg und kann insbesondere für Menschen mit einem hektischen Lebensstil oder Schwierigkeiten bei der verbalen Kommunikation von Vorteil sein. Es ist jedoch wichtig zu betonen, dass chatbasierte Beratung die herkömmliche Psychotherapie nicht ersetzen kann, sondern eine ergänzende Ressource darstellt.
KI-Chatbots in der Psychotherapie: Aktueller Stand und Perspektiven
Künstliche Intelligenz Chatbots haben in der Psychotherapie seit 2022 an Bedeutung gewonnen. Sie nutzen Techniken der kognitiven Verhaltenstherapie, um Patient:innen mit psychischen Störungen wie Depressionen und Ängsten zu unterstützen. Systeme wie Tess nutzen Algorithmen und maschinelles Lernen, um auf die Bedürfnisse der Nutzer:innen einzugehen und unterstützende Interventionen anzubieten.
Trotz Fortschritten und der Fähigkeit, spezifische Strategien wie Entspannungstechniken anzubieten, können diese Programme die herkömmliche Psychotherapie nicht ersetzen und sollten mit Vorsicht genutzt werden. Expert:innen betonen, dass KI-Chatbots die Nuancen menschlicher Emotionen nicht vollständig erfassen und echte therapeutische Beziehungen nicht aufbauen können. Datenschutzbedenken bestehen ebenfalls.
Der Status quo der KI-basierten Psychotherapie ist vielversprechend, erfordert jedoch weitere Forschung und Verbesserungen, um die Wirksamkeit und Sicherheit dieser Technologien zu gewährleisten.
Dass Psychotherapie durch solche Systeme gänzlich ersetzt wird, ist somit kaum denkbar. Jedoch könnten sie zusätzlich genutzt werden und als unterstützende Maßnahme fungieren. Ein Chatbot könnte zum Beispiel Zahnärzt:innen nicht das Bohren oder Zähne ziehen ersetzen, aber Patient:innen erklären, wie sie am besten Zähne putzen können, um solche Eingriffe präventiv zu vermeiden. Genauso in der Psychotherapie – psychoedukative Inhalte könnten interaktiv vermittelt werden.
Die Zukunft der Psychotherapie ist heute
Angesichts der rasanten Entwicklung digitaler Technologien und ihrer Anwendung in der Psychotherapie stehen wir an der Schwelle zu einer neuen Ära der psychologischen Betreuung. Die Entscheidung für die Nutzung dieser Technologien sollte sorgfältig abgewogen werden, um die Bedürfnisse und Sicherheit der Patient:innen zu gewährleisten, genauso wie Sie es auch in Präsenz durch die Indikations- und Diagnosestellung tun. Wenn KI-basierte psychotherapeutische Chatsysteme mit höchster Vorsicht zu genießen sind, kann aus aktuellsten Forschungsergebnissen entnommen werden, dass die synchrone internetbasierte Psychotherapie per Video vergleichbare Ergebnisse erzielt wie Psychotherapie in Präsenz. Auch unser Gesetzgeber hat das schon längst erkannt und den Weg geebnet, um digitale Psychotherapie anbieten zu können. Wie sehen Sie die Entwicklung synchroner und asynchroner Kommunikationsformen? Welche Rolle werden KI-basierte Systeme Ihrer Meinung nach in der Zukunft spielen?
Die Zukunft der Psychotherapie ist heute – und sie ist digital. Teilen Sie Ihre Gedanken und Erfahrungen mit uns auf unseren Social-Media-Kanälen und lassen Sie uns gemeinsam diesen Weg beschreiten und die Möglichkeiten, voll ausschöpfen. Welche Erfahrungen haben Sie bereits mit Online-Psychotherapie gemacht? Wie sehen Sie die Zukunft der Psychotherapie? Wir freuen uns auf Ihre Beiträge und eine angeregte Diskussion!
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Quellen
Cuijpers, P., Miguel, C., Harrer, M., Plessen, C. Y., Ciharova, M., Ebert, D., & Karyotaki, E. (2023). Cognitive behavior therapy vs. control conditions, other psychotherapies, pharmacotherapies and combined treatment for depression: a comprehensive meta‐analysis including 409 trials with 52,702 patients. World Psychiatry, 22(1), 105-115. https://doi.org/10.1002/wps.21069
Fernandez, E., Woldgabreal, Y., Day, A., Pham, T., Gleich, B., & Aboujaoude, E. (2021). Live psychotherapy by video versus in‐person: A meta‐analysis of efficacy and its relationship to types and targets of treatment. Clinical Psychology & Psychotherapy, 28(6), 1535-1549.https://doi.org/10.1002/cpp.2594
Janssen, A. (2023, 27. März). Wenn der Chatbot rät, sich vom Partner zu trennen. Rheinische Post. https://rp-online.de/politik/analyse-und-meinung/chatbots-in-der-psychotherapie-wovor-experten-warnen_aid-87028875
Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV), (2021, 23. September). Akutbehandlung und Gruppentherapie ab Oktober auch per Video möglich. Praxisnachrichten. https://www.kbv.de/html/1150_54573.php
Salmen, D., (2021). Umgang mit der Videosprechstunde in der Psychotherapie. Hessisches Ärzteblatt, 3, 164-165.
Seit 2021 unterstütze ich Consularia als fachlich-psychologische Leiterin. Um den gleichen Dreh herum startete ich an der MEU – Studienzentrum der DIPLOMA Hochschule als wissenschaftliche Mitarbeiterin und als Dozentin für Differentielle und Persönlichkeitspsychologie. Aktuell forsche ich an videobasierter Gruppenpsychotherapie zur Behandlung von Depression.